16.06.2025
Interview mit Anne Sieber
„Wir müssen Entrepreneurship Education in Deutschland viel größer und ganzheitlicher denken“

© DKJS/ Jenia Symonds
Im März 2025 haben wir gemeinsam mit Anne Sieber und weiteren Expert:innen aus Bildungsverwaltung, Praxis, Wissenschaft und Zivilgesellschaft eine Lernreise nach Österreich unternommen. Vor Ort haben wir erkundet, wie Entrepreneurship Education in den österreichischen Lehrplänen verankert und in der schulischen Praxis gelebt wird. Was Anne Sieber dabei besonders beeindruckt hat – und welche Impulse wir uns von Österreich mitnehmen können – verrät sie im Interview.
Frau Sieber, als Leiterin des Projekts Schule mit Unternehmergeist haben Sie ja sozusagen täglich mit Entrepreneurship Education zu tun. Aus welchem speziellen Interesse heraus sind Sie mit nach Wien gefahren?
Für mich geht es bei Entrepreneurship Education gar nicht immer nur um das Unternehmerische, sondern darum, dass Jugendliche in der Schule so gut wie gar nicht oder manchmal erst sehr spät die Möglichkeit erhalten, ihre eigenen Ideen einzubringen. Manchmal sagen Schüler:innen in Seminarkursen in der gymnasialen Oberstufe: Ich bin hier, weil ich endlich mal meine eigenen Ideen umsetzen möchte. Das ist sehr spät und schade, denke ich. Außerdem gibt es einen Beteiligungsaspekt, den ich ungeheuer wichtig finde. Junge Menschen sagen oft, dass sie in der Schule nicht gut für die Zukunft vorbereitet werden, es fehlt das Beim-Machen-Lernen und zu wissen: Okay, manchmal ist es schwierig, aber ich bekomme das hin, wenn ich lange genug dranbleibe oder Menschen frage, die mir helfen können. Das sind wichtige Lernerfahrungen, die man – egal, was man später macht – immer brauchen kann.
Es braucht also eine andere Art von unternehmerischer Bildung an Schulen?
Ja, es braucht vor allem viel, viel Praxis und nicht die traditionelle Rollenverteilung, dass Lehrkräfte sagen: Ich erzähle euch, wie die Welt läuft. Das Schöne an Entrepreneurship Education ist ja, dass die Lehrkräfte gar nicht immer die Profis sind, sondern mitlernen und so eine ganz andere Rolle entwickeln.
Können Sie noch mal zusammenfassen, welche Kompetenzen sich Kinder und Jugendliche vor allem durch Entrepreneurship Education aneignen können?
Natürlich Selbstwirksamkeit, also das Erleben am eigenen Tun: Ich schaffe es, auch große Dinge anzugehen und durchzubringen. Neben der Teamfähigkeit ist Organisationsfähigkeit wichtig. Sie lernen, zu organisieren, Pläne einzuhalten, Verantwortung zu übernehmen und auch nach vorne zu gehen. Ich merke das immer in Präsentationen, wenn sie manchmal an Wettbewerben teilnehmen. Die Jugendlichen sind wahnsinnig aufgeregt, aber sie lernen so viel dabei und das brauchen sie auch später im Beruf. Man kann ja nicht immer in der letzten Reihe stehen und warten, dass einem etwas passiert. Und es ist toll, wenn sie dann später sagen: Das war jetzt aufregend, aber ich kann das wirklich.
„Wir dürfen Entrepreneurship Education in Deutschland ruhig viel größer und ganzheitlicher
denken. Und wir sollten sichtbarer werden mit dem, was wir schon tun, denn das ist schon eine ganze Menge.“
Anne Sieber Was fehlt Ihrer Meinung nach in Deutschland, wenn Sie an Entrepreneurship Education denken?
Zum einen ist der Begriff hier nicht so selbstverständlich. Ich merke: Wenn man ihn anbringt, gibt es erst einmal ein großes Zucken oder Befremden – zum Beispiel bei Lehrkräften. Es wird einfach nicht groß genug gedacht. Also Schülerfirmen, ja so kleine Sachen können die Jugendlichen ruhig machen. Aber das große Konzept von Entrepreneurship Education ist überhaupt nicht in den Köpfen.
Und Österreich denkt da größer?
Ja, in Österreich wird Entrepreneurship Education sehr viel größer und ganzheitlicher gedacht. Die Voraussetzungen sind auch einfacher, weil sie nicht wie wir den Föderalismus im Bildungssystem haben. Was mich wirklich sehr beeindruckt hat, war die große Begeisterung aller Beteiligten. Bei mir entstand das Gefühl, dass alle dahinterstehen, die Ministerien, die Schulen, die unterschiedlichen Institutionen. Das habe ich in Deutschland so noch nicht erlebt. In Deutschland wird zwar auch versucht, die entsprechenden Initiativen in Austausch zu bringen, aber da gibt es auch immer den Konkurrenzgedanken. In Österreich wurde uns gesagt, das Thema sei von unten gewachsen und da könne jetzt gar keiner mehr sagen: Das möchten wir nicht mehr. Die Initiative for Teaching Entrepreneurship bringt Studien mit auf den Weg, um zu belegen, was sie da machen.
Welche denn zum Beispiel?
Dass sie zum Beispiel noch nicht alle Schulformen erreichen, dass die Gymnasien in Österreich noch mal anders aufgestellt sind als die Handelsakademien. Letztere erreichen sie sehr gut, aber an den Gymnasien steht Entrepreneurship Education noch nicht überall auf dem Lehrplan.
Was hat sie noch beeindruckt?
Schon Grundschüler:innen in Österreich lernen, ihre Kompetenzen zu entwickeln und zu wissen, wo sie gut sind. Und das zieht sich durch alle Schulformen bis zur Universität. Das fand ich schön. Das ist natürlich eine schöne Reise, die ein junger Mensch machen kann, weil die Maßnahmen aktivierend sind und das Bildungsziel Entrepreneurship Education auch dem Europäischen Referenzrahmen EntreComp entspricht. Wir alle brauchen es, dass wir Themen anpacken und uns auch in schwierigen Lebensphasen immer wieder neu aufstellen und schauen, wo man was bewegen kann.
Was sollten wir uns in Deutschland denn vor allem von Österreich abgucken?
Ich fände es toll, wenn wir in Deutschland etwas größer denken und die Ganzheitlichkeit des Themas in die Diskussion einbringen würden. Was mich auch sehr beeindruckt hat: die Wertschätzung. Wie sagen sie das so schön in Österreich: Die Projekte und die Macher:innen vor den Vorhang bringen. Sie sichtbar machen und wertschätzen.
Zeigen wir in Deutschland zu wenig, was wir tun?
Das finde ich teilweise schon. Wir haben bei uns in Brandenburg zum Beispiel tolle Rahmenbedingungen: Der politische Wille ist hier auf alle Fälle da. Wir werden sowohl vom Bildungsministerium als auch vom Wirtschaftsministerium unterstützt. In den Rahmenlehrplänen und sogar in einer Verwaltungsvorschrift sind Formate wie Schülerfirmen aufgeführt, sie sind aus der Bildungslandschaft nicht mehr wegzudenken. Da müssen wir uns gar nicht hinter Wien oder Österreich verstecken. Aber bei uns sieht man es eben nicht so deutlich. Dieses Selbstbewusstsein und gewissermaßen das Selbstverständnis, sich die richtigen Akteure mit an den Tisch zu holen – das fand ich sehr beeindruckend. Da können wir in Deutschland viel dazulernen.
Anne Sieber ist Projektleiterin von Schule mit Unternehmergeist in der Servicestelle-Schülerfirmen von kobra.net, die die Gründung und Arbeit von Schülerfirmen in Brandenburg unterstützt.